Auch wenn ein ideales Bewerbungsgespräch aus meiner Sicht nichts mit einem Verhör zu tun haben sollte, haben beide mehr gemeinsam, als man zunächst glauben würde oder möchte.

Das Ziel jedes Bewerbungsgespräches sollte es sein, Klarheit auf beiden Seiten zu schaffen. Sowohl die potenzielle neue Arbeitgeberin wie auch die potenzielle neue Mitarbeiterin sollten alle Informationen erhalten, um sich für oder gegen eine Zusammenarbeit zu entscheiden.

Die Strukturierung eines Bewerbungsgesprächs ist eine Grundvoraussetzung, um aussagekräftige und relevante Informationen zu generieren, für beide Seiten. Ebenso wichtig ist jedoch auch die Grundhaltung der Person, die das Gespräch führt und deren Bewusstsein darüber. Verhörtechniken aus den USA, einem Land, in dem die Polizei in Bezug auf (un-)vorhandene Beweise lügen darf, zeigen auf, wie relativ ein Geständnis sein kann. Nahezu jeder Mensch kann zu einer Falschaussage und dem Gestehen einer (nicht begangenen) grausamen Tat gebracht werden. Unschuldige Menschen glauben in der Regel an das Gute und daran, dass letzten Endes die Wahrheit obsiegen wird. Die Realität sieht jedoch anders aus, wenn die verhörende Person gar nicht an der Wahrheit interessiert ist, sondern lediglich an einem Geständnis.

Vorgefertigte Meinungen, Vorurteile, bewusste und unbewusste Absichten, aktuelle Stimmungslage und Laune, eigener Frust, ungenügende Gesprächsvorbereitung, Präferenzen, Unsicherheit, etc. beeinflussen jede Art von Gespräch und Interaktion und führen oft zu nichts Gutes. Vor allem in Gespräche, bei denen eine Partei am «längeren Hebel» sitz, so wie das oft in einem Bewerbungsgespräch der Fall ist, auch bei Vorherrschen von «Fachkräftemangel». Auch im «positiven» Fall, wenn wir bereits vor einem Bewerbungsgespräch entschieden haben, dass wir die Person «wollen», ist das meist schädlich für die Entscheidungsfindung und die spätere Zusammenarbeit, da wir dann meist alles Negative kategorisch ausblenden.  

Strukturierte Bewerbungsgespräche sind eine Voraussetzung für wertschöpfende Gespräche, bieten jedoch keinen garantierten Schutz vor Manipulation und Fehlinterpretationen. So sind vor allem Anschluss- und ergänzende Fragen bewusst zu stellen. Hilfreich kann es beispielsweise sein, wenn wir uns vor einem Bewerbungsgespräch in Selbstreflexion üben und uns bewusst machen, mit welcher Haltung, Einstellung, Stimmung und Erwartung wir in das Gespräch gehen. Was wir hören und beobachten dient der Interpretation unserer Wahrheit, die nicht zwingend der Realität entspricht. Daher lohnt es sich beispielsweise, dem Gegenüber gehörte Aussagen zu spiegeln, um sicherzustellen, dass wir angemessen interpretieren. Nachfragen und um alternative Beispiele bitten kann ebenfalls nützlich sein.

Als Gesprächsführer/in steuern und beeinflussen wir die Themen und das Gesagte massgeblich, nicht nur mit Worten und Gesten, sondern auch mit unserer Haltung und Absicht, dessen sollten wir uns bewusst sein.