Das klassische Assessment Center gilt seit Jahrzehnten als bewährtes Instrument zur Personalauswahl. Es kombiniert verschiedene Testverfahren sowie Übungen wie Rollenspiele, Fallstudien, Präsentationen und Gruppendiskussionen, um fachliche und soziale Kompetenzen zu bewerten. Doch trotz seiner Popularität ist das klassische Assessment Center nicht immer die beste Wahl, insbesondere, wenn es um valide, faire und praxisnahe Diagnostik geht.

Wandel in der Eignungsdiagnostik: Neue Wege statt starrer Formate

Die Corona-Pandemie hat viele Prozesse in der Eignungsdiagnostik verändert. Digitale Formate, hybride Settings und individualisierte Verfahren gewannen zunehmend an Bedeutung. Als Psychologin mit langjähriger Erfahrung setze ich heute bewusst auf Methoden, die sich vom klassischen Assessment Center abheben, nicht nur aus Überzeugung, sondern auch aus wissenschaftlicher und praktischer Sicht.

Warum Rollenspiele kritisch zu betrachten sind

Rollenspiele gehören zu den typischen Übungen im Assessment Center, etwa zur Simulation von Führungssituationen oder Konfliktgesprächen. Doch sie sind methodisch umstritten: Ihre Validität und Reliabilität sind oft nicht ausreichend, und sie lassen sich kaum normieren. Zudem fehlt es häufig an realitätsnahen Kontexten, was die Aussagekraft einschränkt und selten einen relevanten Mehrwert generiert. In meiner Praxis verzichte ich daher im Rekrutierungssetting und in Auswahlverfahren vollständig auf Rollenspiele, zugunsten objektiverer Verfahren wie Persönlichkeitstests, Leistungstests und strukturierte Interviews.

Präsentationen und Fallstudien: Nur sinnvoll mit Fachbezug

Präsentationen und Fallstudien können Sinn machen, müssen aus meiner Sicht dann jedoch von Fachexperten mitevaluiert werden, weshalb bei mir auch immer die Entscheidungsträger anwesend sind, wenn Präsentationen eingesetzt werden. Allerdings vertrete ich hier die Meinung, dass auch die Bearbeitung von Fallstudien und Vorbereitung von Präsentationen möglichst praxisnah gestaltet werden sollten. Bis auf wenige Funktionen (Bsp. Mediensprecher/in) macht es beispielsweise kaum Sinn, jemanden eine 20-minütige Präsentation in 30-40 Minuten vorbereiten zu lassen, da hier höchstens der Umgang mit Zeitdruck gemessen werden kann, jedoch keine verlässliche Aussage über den möglichen Output gemacht werden kann, den eine Person tatsächlich im normalen Berufsalltag leisten kann, denn normalerweise wird immer mehr Zeit zur Verfügung stehen, um eine gescheite Präsentation zu erarbeiten.

Drill-Assessment? Nein, danke!

In manchen Führungskräfte-Assessments wird versucht, Kandidaten durch Stresssituationen an ihre Belastungsgrenzen zu bringen. Als Notfallpsychologin weiss ich: Verhalten in Extremsituationen lässt sich nicht zuverlässig prognostizieren, es muss kontinuierlich trainiert werden, wie etwa in Sondereinheiten der Polizei. Statt auf Drill setze ich auf valide Leistungstests, die Arbeitseffizienz, Problemlösekompetenz und Konzentrationsfähigkeit unter realistischen Bedingungen messen.

Alternativen zum klassischen Assessment Center

Moderne Verfahren bieten zahlreiche Alternativen, die wissenschaftlich fundiert, praxisnah und individuell anpassbar sind. Hier einige bewährte Optionen:

  • Einzelne psychometrische Testverfahren wie ein wissenschaftlich fundierter Persönlichkeitstest (z.B. BIP) oder ein Führungsmotivationstest (z.B. FÜMO). Und bitte Hände weg von Tests wie z.B. Master Person Analysis (MPA), DISG oder Insights Discovery, denn diese sind nicht geeignet und auch nicht zu empfehlen für eine professionelle Personalauswahl.
  • Leistungstests, objektiv messbare Aufgaben zur Erfassung kognitiver Fähigkeiten und Arbeitseffizienz.
  • Strukturierte Interviews, bei denen in einem tiefgehenden Gespräch auf Motivation, Persönlichkeit und Passung eigegangen wird.
  • Personality Check von ConSenso Consulting, ein mehrdimensionales Diagnostikverfahren, das verschiedene psychometrische Instrumente kombiniert.

Fazit: Qualität statt Show

Ein Assessment Center sollte nicht zur Bühne für inszeniertes Verhalten werden, sondern ein Raum für authentische Begegnung und fundierte Diagnostik. Die Auswahlverfahren müssen zur Position, zum Unternehmen und zur Zielgruppe passen und sie sollten wissenschaftlich fundiert, fair und transparent sein. Denn nur so lassen sich Fehlbesetzungen vermeiden und nachhaltige Personalentscheidungen treffen.

Hinweis für Kandidat:innen

Eine gute Vorbereitung auf ein Assessment Center kann sich als klarer Vorteil erweisen. Tipps zur optimalen Vorbereitung gibt es im entsprechenden Blog-Beitrag.