Toxische Positivität: Die Schattenseite der positiven Psychologie
06. Mai 2025

In der heutigen Gesellschaft wird oft betont, wie wichtig es ist, positiv zu denken und das Beste aus jeder Situation zu machen. Dieser Ansatz, bekannt als positive Psychologie, hat zweifellos viele Vorteile. Er kann uns helfen, Herausforderungen zu meistern, unser Wohlbefinden zu steigern und unsere Resilienz zu stärken. Doch was passiert, wenn Positivität übertrieben und unrealistisch wird und in toxische Positivität kippt?
Was ist positive Psychologie?
Positive Psychologie ist ein wissenschaftlicher Ansatz, der sich darauf konzentriert, was das Leben lebenswert macht. Anstatt sich nur auf die Behandlung von psychischen Erkrankungen zu konzentrieren, untersucht die positive Psychologie, wie Menschen ein erfülltes und glückliches Leben führen können. Zu den zentralen Themen gehören positive Emotionen, Engagement, Beziehungen, Sinn und Ziel sowie Erfolge (bekannt als das PERMA-Modell von Martin Seligman).
Die Rolle der positiven Psychologie
Die positive Psychologie, wie sie von Martin Seligman und anderen Pionieren des Feldes entwickelt wurde, zielt darauf ab, das Wohlbefinden zu steigern, indem sie sich auf Stärken und Tugenden konzentriert. Sie ermutigt uns, Herausforderungen anzunehmen, ohne unsere echten Gefühle zu unterdrücken. Sie fördert Resilienz und Selbstmitgefühl. Sie betont die Bedeutung von positiven Emotionen, Engagement, positiven Beziehungen, Sinn und Ziel sowie Errungenschaften. Diese Elemente tragen dazu bei, ein erfülltes und bedeutungsvolles Leben zu führen.
Kritik an der positiven Psychologie
Trotz ihrer vielen Vorteile steht die positive Psychologie auch in der Kritik. Einige Kritiker argumentieren, dass sie zu sehr auf individuelle Verantwortung setzt und strukturelle Probleme wie Armut und Ungleichheit ignoriert. Andere warnen vor der Gefahr, dass positive Psychologie in toxische Positivität umschlagen kann, wenn sie missverstanden oder übertrieben angewendet wird.
Was ist toxische Positivität?
Toxische Positivität beschreibt die übertriebene und unaufrichtige Anwendung von positivem Denken, die die Realität ausblendet und echte Emotionen unterdrückt. Anstatt uns zu erlauben, negative Gefühle zu erleben und zu verarbeiten, zwingt uns toxische Positivität dazu, ständig glücklich und optimistisch zu sein, unabhängig von den Umständen. Sie zwingt uns somit, ständig glücklich zu sein und negative Emotionen zu ignorieren. Sie führt zu emotionaler Unterdrückung und Unaufrichtigkeit. Dies kann zu einer Reihe von Problemen führen, darunter:
- Emotionale Unterdrückung: Wenn wir unsere negativen Gefühle nicht anerkennen, können sie sich aufstauen und langfristig zu emotionalen und psychischen Problemen führen.
- Unaufrichtigkeit im Umgang mit anderen: Toxische Positivität kann dazu führen, dass wir uns gegenüber anderen unehrlich verhalten, indem wir unsere wahren Gefühle verbergen und eine falsche Fassade aufrechterhalten.
- Verlust der Authentizität: Indem wir uns zwingen, ständig positiv zu sein, verlieren wir den Kontakt zu unseren echten Emotionen und Bedürfnissen.
Mit einem solchen Verhalten machen wir vor allem unseren Liebsten keinen Gefallen, denn was wir im falschen Moment unter dem Deckmantel der positiven Psychologie von uns geben, ist nicht hilfreich, denn dadurch fühlt sich das Gegenüber oft nicht ernst genommen, was toxisch ist, für unser Gegenüber und auch für die Beziehung zu unserem Gegenüber und unseren Mitmenschen ganz allgemein.
Beispiele für toxische Positivität
Um das Konzept der toxischen Positivität besser zu verstehen, hier einige typische Beispiele:
- Jobverlust: Wir verlieren unerwartet unseren Job und bekommen eine Kündigung. Toxische Positivität sieht ausschliesslich die Chance auf einen Neuanfang, ohne die Sorgen und den Frust zu akzeptieren.
- Beziehungsende: Nach einer Trennung wird ausschliesslich betont, dass es besser ist, wieder frei zu sein, ohne den Liebeskummer und die Trauer zuzulassen.
- Bewerbungsabsage: Nach langer Jobsuche erhalten wir eine Absage für unseren Traumjob. Statt die Enttäuschung zu verarbeiten, reden wir uns ein, dass der Job doch nicht so gut war.
- Geplatzter Traum: Ein lang gehegter Traum wird unerreichbar. Toxische Positivität zwingt uns, sofort das Positive darin zu sehen, ohne die Trauer und Enttäuschung zuzulassen.
Beispiele für toxische Positivität im zwischenmenschlichen Kontext
Verlust eines geliebten Menschen
Toxische Positivität: „Sei nicht traurig, sie sind jetzt an einem besseren Ort.“
Hilfreiche Reaktion: „Es muss sehr schwer für dich sein. Ich bin hier für dich, wenn du reden möchtest. Wie kann ich dich in dieser Zeit unterstützen?“
Depression
Toxische Positivität: „Kopf hoch, es gibt immer einen Silberstreif am Horizont!“
Hilfreiche Reaktion: „Ich sehe, dass du gerade eine schwere Zeit durchmachst. Es ist okay, sich so zu fühlen. Möchtest du darüber sprechen oder gibt es etwas, das dir helfen könnte, dich besser zu fühlen?“
Jobverlust
Toxische Positivität: „Das ist doch nicht so schlimm, du findest bestimmt bald etwas Besseres!“
Hilfreiche Reaktion: „Das muss sehr frustrierend für dich sein. Wie geht es dir damit? Gibt es etwas, das dir jetzt helfen könnte, dich besser zu fühlen oder dich zu unterstützen?“
Chronische Krankheit
Toxische Positivität: „Du musst einfach positiv denken, du bist stark!“
Hilfreiche Reaktion: „Es tut mir leid, dass du das durchmachen musst. Wie kann ich dich unterstützen? Gibt es etwas, das dir hilft, mit deiner Krankheit besser umzugehen?“
Krebs im Endstadium
Toxische Positivität: „Mach dir keine Sorgen, alles wird gut!“
Hilfreiche Reaktion: „Es tut mir sehr leid, das zu hören. Wie möchtest du deine verbleibende Zeit am liebsten nutzen? Gibt es etwas, das dir besonders Freude bereitet oder etwas, das du noch erleben möchtest?“
Die richtige Anwendung von Positivität
Es ist wichtig, Positivität auf eine gesunde und realistische Weise zu leben. Hier sind einige Tipps, wie wir dies erreichen können:
- Akzeptiere deine Gefühle: Erlaube dir, negative Emotionen zu fühlen und zu verarbeiten. Es ist völlig normal, sich manchmal traurig, wütend oder enttäuscht zu fühlen.
- Sei ehrlich zu dir selbst und anderen: Teile deine wahren Gefühle mit vertrauenswürdigen Personen. Ehrlichkeit schafft echte Verbindungen und hilft dir, Unterstützung zu finden.
- Finde ein Gleichgewicht: Positivität sollte nicht bedeuten, dass wir negative Aspekte unseres Lebens ignorieren. Finde ein Gleichgewicht zwischen positivem Denken und der Anerkennung von Herausforderungen.
- Praktiziere Selbstmitgefühl: Sei freundlich zu dir selbst, besonders in schwierigen Zeiten. Selbstmitgefühl hilft uns, uns selbst zu akzeptieren und zu unterstützen.
Beispiele für gesunde statt toxische Positivität
Um zu verdeutlichen, wie Positivität richtig und nicht im Sinne toxischer Positivität gelebt wird, hier einige Beispiele:
- Positive Affirmationen: Verwenden von positiven Affirmationen wie „Ich bin fähig und verdiene Liebe, Erfolg und Glück“ oder „Ich vertraue auf meinen Weg und weiss, dass jeder Schritt nach vorne ein Schritt zum Wachstum ist“.
- Körperliche Aktivität: Regelmässige Bewegung, gesunde Ernährung und ausreichend Schlaf tragen erheblich zum Wohlbefinden bei.
- Dankbarkeitstagebuch: Führe ein Tagebuch, in dem du täglich drei Dinge aufschreibst, für die du dankbar bist. Dies kann helfen, deinen Fokus auf positive Aspekte deines Lebens zu lenken und dein allgemeines Wohlbefinden zu steigern.
- Positive Selbstgespräche: Achte darauf, wie du mit dir selbst sprichst. Ersetze negative Selbstgespräche durch positive und unterstützende Aussagen. Zum Beispiel: „Ich habe heute mein Bestes gegeben und das ist genug“.
- Aktive Problemlösung: Anstatt Probleme zu ignorieren, gehe sie aktiv an. Entwickle Strategien, um Herausforderungen zu bewältigen, und feiere kleine Erfolge auf dem Weg.
- Soziale Unterstützung: Pflege positive Beziehungen und suche Unterstützung bei Freunden und Familie. Ein starkes soziales Netzwerk kann uns helfen, schwierige Zeiten zu überstehen und positive Emotionen zu fördern.
- Achtsamkeit und Meditation: Praktiziere regelmässig Achtsamkeit und Meditation, um im Moment präsent zu sein und Stress abzubauen. Dies kann uns helfen, eine positive Einstellung zu bewahren, ohne unsere echten Gefühle zu unterdrücken.
- Kreative Aktivitäten: Engagiere dich in kreativen Aktivitäten wie Malen, Schreiben oder Musik. Diese können helfen, positive Emotionen zu fördern und unsere Gedanken zu ordnen.
- Natur erleben: Verbringe Zeit in der Natur, um dich zu entspannen und neue Energie zu tanken. Studien haben gezeigt, dass Zeit in der Natur positive Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die Stimmung haben kann.
- Selbstfürsorge: Nimm dir regelmässig Zeit für Selbstfürsorge, sei es durch ein entspannendes Bad, ein gutes Buch oder eine Massage. Selbstfürsorge ist entscheidend, um uns selbst zu unterstützen und positive Emotionen zu fördern.
Finde das passende Mass
Indem wir lernen, Positivität auf eine ausgewogene und authentische Weise zu leben, können wir die Vorteile der positiven Psychologie nutzen, ohne in die Falle der toxischen Positivität zu tappen. Es ist wichtig, unsere echten Gefühle zu akzeptieren und auszudrücken, während wir gleichzeitig nach positiven Erfahrungen und Beziehungen streben. Nur so können wir ein wirklich erfülltes und authentisches Leben führen. Ein Coaching oder psychologische Beratung kann dich dabei zusätzlich unterstützen.