Fasnacht wird heute vor allem mit ausgelassenem Treiben in Verbindung gebracht. Die Fas(t)nacht hat jedoch einen religiösen Ursprung und bezeichnet die Zeit vor der Fastenzeit. So findet auch «Karneval» seinen Ursprung im religiös motivierten Fasten. «Carne vale» ist Lateinisch und bedeutet so viel wie «Fleischabschied» oder «Fleisch, leb wohl». Mit diesem Spruch wurde die Fastenzeit eingeläutet und in der Nacht zuvor (ursprünglich dauerte die Fastnacht, wie der Name erahnen lässt, nur eine Nacht) die letzten Fleischvorräte in masslosen Feiern verzerrt. Dies erklärt, wieso die Fasnacht mit der Abschaffung der Fastenzeit in den meisten reformierten Regionen vertrieben wurde, nicht so aber in Basel. Die Baslerinnen und Balser machen es ohnehin etwas anders, bei denen fängt die Fasnacht immer erst nach Aschermittwoch an und somit dann, wenn bei den anderen bereits die Fastenzeit begonnen hat. Dieses Jahr werden sich wohl viele wünschen, dass dem nicht so wäre…

Aus psychologischer Perspektive kann die Fasnachtszeit auch als eine Art Ventil gesehen werden. Während der Fasnacht gilt Ausnahmezustand: Die Welt der Regeln und Vorschriften steht Kopf und Hierarchien verschwinden. Nach Ansicht mancher Fachpersonen sind Menschen, die einige Tage in eine andere Rolle schlüpfen, hemmungslos in eine andere Welt eintauschen und sich austoben, wieder besser in der Lage, den weniger schillernden Alltag zu ertragen und zu meistern. Ich bin überzeugt, dass es durchaus auch andere Copingstrategien gibt und mache Fasnachtsanhänger ihre Begeisterung anders begründen und definieren. Geht man jedoch davon aus, dass Fasnacht für viele durchaus eine Gelegenheit ist, um mal die «Sau raus zu lassen» und sich nicht entsprechend der Rolle zu verhalten, die man sonst im Alltag als Mutter, Vater, Steuerberater, Abteilungsleiterin, etc. innehält, dann drängt sich die Frage auf, was passiert, wenn einem diese Gelegenheit verwehrt bleibt.

Im Fall der Basler Fasnacht, die heute aufgrund des Coronavirus abgesagt wurde, zeichnen sich in den analogen und digitalen Medien bereits sehr deutlich emotionale Reaktionen ab. Auch rational und ökonomisch gesehen (hier wird das Denkhirn angesprochen) ist der durch die Absage entstehende Verlust enorm, jedoch werden die emotionalen Folgen (hier wird das Fühlhirn angesprochen) vermutlich unterschätzt. Ein Verschiebungsdatum wird in Aussicht gestellt, was durchaus eine Option sein kann, jedoch aufgrund der Kommunikationsart die Gemüter kaum zu beruhigen vermag. Im Gegenteil, «Betroffene» werden eher noch mehr verärgert, denn damit wird die Bedeutung der Fasnacht für viele verletzt. Als wäre die Basler Fasnacht ein Anlass, der sich einfach so verschieben liesse. Wird Fasnacht bewusst oder unbewusst auch als eine Art Ventil wahrgenommen, dann müssen wir uns darauf einstellen, dass es zu eruptiven Vorkommnissen kommen wird, wenn keine befriedigende Lösung für das «geschlossene Ventil» gefunden werden kann. Es bleibt zu hoffen, dass es den «Fasnächtler/innen» gelingt, sich nun angemessen als Gruppe zu organisieren, ohne sich von ihrem Fühlhirn dominieren zu lassen. Auf der anderen Seite sollten Regierung und Gesetzeshüter/innen nicht nur das Denkhirn beanspruchen und ansprechen, sondern auch die Bedürfnisse des Fühlhirns genügend ernst nehmen.