Psychologische Testverfahren werden immer wieder kritisch hinterfragt. Erst gestern bin ich mal wieder über einen Zeitungsartikel gestossen, in dem die Sinnhaftigkeit von Persönlichkeitstests in Frage gestellt wird. Ich stelle immer wieder fest, dass unterschiedliche Aspekte vermischt werden und nicht selten zu kategorisch argumentiert wird.

Keine Alibiübung

Der Einsatz von psychologischen Testverfahren darf keine "Alibiübung" sein und auch kein Instrument, hinter dem man sich als Entscheidungsträger verstecken kann. Ein Personalentscheid soll und darf nie nur auf Grundlage von Testergebnissen erfolgen. Das wichtigste und akzeptierteste Verfahren ist und bleibt das strukturierte Interview, wobei die Qualität mit dem Grad der Strukturiertheit steigt. Auch hier mache ich die Erfahrung, dass viele Führungskräfte aber auch HR-Leute die Wichtigkeit des Bewerbungsinterview unterschätzen und sich zu sehr von Bewerbungsunterlagen blenden lassen. Bewerbungsunterlagen haben eine geringe Validität und sollten deshalb nicht überbewertet werden.

Zeitlich stabil und berufsrelevant

Ich werde immer wieder mit der Frage konfrontiert, was Persönlichkeitseigenschaften mit beruflichen Kompetenzen zu tun haben und mit der Skepsis bezüglich der Aussagekraft und der Nützlichkeit von psychologischen Testverfahren. Persönlichkeitseigenschaften korrelieren mit Verhaltensberichten und sind zeitlich stabil. Die Entwicklung von berufsrelevanten Kompetenzen setzt gewisse Persönlichkeitseigenschaften voraus. In diesem Zusammenhang ist vielen nicht bewusst, dass Intelligenz auch eine Persönlichkeitseigenschaft ist, genauso wie beispielsweise Durchsetzungsvermögen, Gewissenhaftigkeit und emotionale Stabilität. Zudem gehören Intelligenz- und Leistungstests zu den validesten Verfahren zur Prognose von Führungsleistung. Der Einsatz von psychologischen Testverfahren in einem Rekrutierungsverfahren macht somit durchaus Sinn, setzt jedoch eine vorgängige Anforderungsanalyse voraus. Es muss im Vorfeld festgelegt werden, welche Persönlichkeitseigenschaften und welche Kompetenzen relevant sind und in welcher Ausprägung. Zudem muss die Auswahl der Testverfahren durch Fachpersonen erfolgen. Dabei ist es unerlässlich, nur wissenschaftlich fundierte Testverfahren zu verwenden (z.B. von Hogrefe).

Typologisierende Verfahren sind nicht für die Rekrutierung geeignet

Es ist tatsächlich so, dass viele Unternehmen als Persönlichkeitstest typologisierende Verfahren verwenden. Ohne alle typologisierende Verfahren pauschal verurteilen zu wollen, ist es dennoch so, dass typologisierende Verfahren den wissenschaftlich fundierten psychometrischen Ansprüchen nicht genügen und in der Personalrekrutierung nicht eingesetzt werden sollten. Typologisierende Verfahren sind generell mit Vorsicht zu geniessen, auch wenn sie zum Beispiel im Rahmen der Teamentwicklung hilfreiche Instrumente sein können.

Bei wissenschaftlich fundierten Verfahren (z.B. BIP, Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung) werden einzelne Persönlichkeitseigenschaften betrachten und die Ausprägungen einer Person ins Verhältnis zu einer Normgruppe gestellt. Dadurch können Aussagen darüber gemacht werden, ob beispielsweise die Führungsmotivation bei einer Person im Vergleich zu anderen Führungskräften höher, gleich oder tiefer ausgeprägt ist.

Allgemein lässt sich auch sagen, dass nicht nur die Ausprägungen an sich (z.B. Führungsmotivation) relevant sind, sondern auch der Umgang damit. In Bezug auf die Führung gibt es beispielsweise durchaus Ausprägungen, die wünschenswerter oder erfolgsversprechender sind als andere (z.B. Gestaltungsmotivation, schlussfolgerndes Denken, Leistungsmotivation, etc.). Dennoch ist nicht allein das Vorhandensein bestimmter Eigenschaften oder Kompetenzen ein Garant für Erfolg in der Führung, wie auch umgekehrt ein Fehlen oder eine geringere Ausprägung nicht zwingend zu Misserfolg in der Führung führen muss. Nicht selten geht es darum, einen bewussten und guten Umgang mit den eigenen Eigenschaften, Kompetenzen, Vorlieben und Abneigungen zu finden, um sie für sich selbst und ihm Rahmen der beruflichen Tätigkeit möglichst optimal einsetzen zu können.

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