Es erstaunt mich immer wieder, wie oberflächlich man sich den Merkmalen erfolgreicher Führungskräfte in der Praxis und vor allem in Rekrutierungsprozessen aber auch in Bezug auf Führungsausbildung und –entwicklung widmet. Evtl. hängt das damit zusammen, dass es eben gar nicht so einfach ist, einige dieser Merkmale klar zu definieren. Oft werden Schlüsselaspekte einfach als „Sozialkompetenzen“ zusammengefasst, ohne diese weiter zu reflektieren.

Führung als Teilbereich des Managements

Der Begriff Management fasst die vier Teilbereiche Planung, Organisation, Führung und Kontrolle zusammen. Meist werden die Begriffe Management und Führung synonym verwendet, was aus meiner Sicht auf die enorme Wichtigkeit des Teilbereiches Führung zurückzuführen ist, auch wenn es undiskutabel ist, dass ein erfolgreicher Manager über entsprechendes Wissen und auch Erfahrung in allen Teilbereichen verfügen muss. Ich glaube, dass das Thema Führung deshalb so dominant ist, weil es nicht gleich gut fassbar und abgrenzbar ist, wie die drei anderen Teilbereiche und Führung der auswirkungsvollste, fehleranfälligste und wichtigste Bereich ist.

Kompetenzen

Banal ausgedrückt bezeichnet Führungskompetenz die Fähigkeit, Führungsaufgaben erfolgreich zu meistern. In meinem Verständnis ist eine Kompetenz somit eine Fähigkeit und eine Fähigkeit setzt sich zusammen aus verschiedenen Voraussetzung, Eigenschaften und Einstellungen, die einen Menschen befähigen. Die Führungskompetenz verstehe ich zudem als eine Zusammenfassung verschiedener Kompetenzen, Fähigkeiten und untergeordneter Eigenschaften und all diese müssen als eine Matrix verstanden werden, da diese ineinander greifen und voneinander abhängig sind. Diese Komplexität sehe ich als Grund für die Entstehung und vielumstrittenen Begriffes „Sozialkompetenz“. In der Praxis stelle ich fest, dass unter Sozialkompetenz zu viel diffus subsumiert wird und im Endeffekt die Wenigsten eine klare Vorstellung davon haben, was dieser Begriff genau umschreibt, vor allem wenn man dafür noch den englischen Begriff „soft skills“ verwendet.

Sozialkompetenz – ein Unwort

Ich sehe den Begriff Sozialkompetenz nicht nur als nutzlos, sondern auch als nachteilig, denn dieser Begriff führt uns dazu, wichtigen Aspekten der Führungskompetenz auszuweichen und diese zu vernachlässigen, weil wir zu vage bleiben. Es wäre viel besser, sich der Teilbereiche der Führungskompetenz bewusst zu werden und diesen einen konkreten Namen zu geben und auf unklare Subsumierungen zu verzichten. Die Bezeichnung „weiche Faktoren“ hat zur Folge, dass immer mehr von „spür mich, fühl mich“ die Rede ist und Seminar und Kurse dieser Art wie Pilze aus dem Boden schiessen. Es ist dann auch nicht verwunderlich, wenn einigen Führungskräften ein kalter Schauer über den Rücken läuft, wenn sie Seminarangebote mit den Titeln „Führen mit Emotion“ oder „Wirkungsvoll führen – vom Bauchgefühl zur Gewissheit“ lesen.

Es gibt nicht DIE Führungskraft mit exakt DIESEN Eigenschaften

Aus meiner Sicht machte es keinen Sinn, einzelne Eigenschaften einer „ausgezeichneten“ Führungskraft aufzuzählen, da ich überzeugt bin, dass es nicht DIE Führungskraft gibt. Ich sehe eine Führungskraft als Zahnrad einer Uhr, wenn sie nicht ins System passt, dann läuft die Uhr nicht oder geht mit der Zeit kaputt. Und man sollte und kann nicht alles passend machen. Zudem ist beispielsweise „unternehmerisches Denken“ und „Innovation“ nicht immer nur wünschenswert und hilfreich, sondern könnte gerade in einer Öffentlichen Verwaltung für Frust, Unruhe und Überforderung sorgen und wird nur dosiert vertragen. Eine Führungskraft muss somit auch zu einem Unternehmen passen.
Aber ich bin dennoch überzeugt, dass es einige Merkmale gibt, die erfolgreiche Führungskräfte gemein haben.

  • Management-, Fach- und Branchenkenntnisse sowie entsprechende Erfahrung
    Es ist immer wieder ein Diskussionspunkt, wieviel Fachwissen eine Führungskraft wirklich haben muss. Ich bin der Meinung, dass es eine Grundvoraussetzung ist, fundierte Managementkenntnis zu haben, den Rest kann sich eine Führungskraft auch aneignen. Zudem ist Fach- und Branchenkenntnis meist nicht das Problem, da sehr oft hochqualifizierte Fachkräfte in die Führung wechseln und ihr eventuelles Scheitern nie auf die Fachkompetenzen zurück zu führen ist, sondern viel mehr auf das Fehlen von Managementkenntnissen und der weiter unten aufgeführten Aspekte.
  • Identifikation, Begeisterungsfähigkeit und Engagement bezüglich dem Unternehmen und der Arbeit
    Nur wer von seinem Tun und dem Umfeld überzeugt ist, kann andere für sich und das Unterfangen gewinnen.
  • Menschenkenntnis und Empathie
    Dieser Aspekt erachte ich als einen der Wichtigsten, da er wirklich matchentscheidend ist. Um Menschen begeistern zu können, mit auf den Weg zu nehmen, motiviert zu erhalten und individuell zu führen, muss man Menschen verstehen und wissen, wie mit ihnen umzugehen ist (denn es sind auch nicht alle gleich). Wer über Menschenkenntnis und Empathie verfügt, verfügt am ehesten über eine ganzheitliche Sicht und kann einfacher, besser und effektiver mit schwierigen Situationen bezüglich Mitarbeitenden umgehen. Hier sehe ich die grösste Lücke bei den meisten Führungskräften. Empathie hat aus meiner Sicht nichts mit „fühl mich, spür mich“ zu tun, sondern ist die Fähigkeit, sich in andere Menschen zu versetzen, um diese „mit ins Boot zu nehmen“. Es geht darum, die zugrundeliegenden Motivationen, Ängste, Vorbehalte, Eigenschaften, Mechanismen zu erkennen und nicht darum, auf alle Befindlichkeiten Rücksicht zu nehmen oder Konflikte und Diskussionen zu vermeiden, sondern darum, diese effektiv zu meistern.
  • Reflektierte Kommunikation
    Ich verwende hier absichtlich nicht „hervorragende Kommunikationsfähigkeiten“, denn dies kann sehr viel bedeuten. Auch ein eigennütziger Manipulator verfügt über hervorragende Kommunikationsfähigkeiten. Wer reflektiert kommuniziert, macht sich Gedanken darüber, wie Äusserungen ankommen, wie die gewählten Worte wirken und hat beispielsweise schon mal was von Gewaltfreier Kommunikation gehört (hat nichts mit „fühl mich, spür mich“ zu tun und auch nicht mit Manipulation, sondern mit klarer und direkter Kommunikation). Zudem ist eine solche Person gewohnt, Dinge beim Namen zu nennen und versteht es, auch schwierige und konfliktgeladene Gespräche konstruktiv aber auch zielgerichtet zu führen.
  • Rückgradstarke Grundeinstellung und –haltung
    Der Fokus sollte darauf gerichtet sein, jederzeit „das Richtige“ zu tun. Dies setzt eine entsprechende ethische und moralische Einstellung und Haltung voraus und die Bereitschaft, Verantwortung für sein Tun und Lassen zu übernehmen. Und dafür muss man beispielsweise kein Christ sein, der bei „unkorrektem Verhalten“ Angst vor der Hölle hat (denn das ist aus meiner Sicht keine erfolgsversprechende Ausganglage).
  • Prägende Erfahrungen, persönliche Reife
    Nur wer das Saure kennt, weiss das Süsse zu schätzen. Daher sind mir Führungskräfte, die nicht von einem prägenden persönlichen oder beruflichen Erfahrungen berichten können und wie sie damit umgegangen sind, sehr suspekt. Es bleibt die Frage offen, wie souverän und Turbulenzen resistent eine solche lebensunerfahrene Person ist (unabhängig vom Alter).
  • Selbstreflexion, Weisheit und beherrschtes Ego
    Einen wachen Geist zu haben, sich selber zu hinterfragen und sich einen Spiegel vorzusetzen, ist nicht einfach, aber vor allem für Führungskräfte unabdinglich. Auch darf man sich nicht von der Routine einnehmen lassen, muss offen sein für Neues und somit bereit, eigene Ansätze zu überdenken. Als weise betrachte ich Menschen (junge und alte), die in der Lage sind, die Dinge aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und zu reflektieren (Weisheit ist nicht mit Lebenserfahrung zu verwechseln). Zudem ist das Ego bei Führungskräften immer ein Thema und nicht selten ein Stolperstein, vor allem wenn die eigene Motivation eine Führungsposition zu besetzen, nicht reflektiert und unbekannt ist. Oft nimmt das Ego zu viel Platz ein und es gelingt einigen nicht zu erkennen, dass es um weit mehr als die eigene Person geht (beispielsweise alles zu persönlich zu nehmen oder den Anspruch zu haben, von allen geliebt zu werden).

Empfehlung für die Rekrutierung von Führungskräften

Die oben aufgeführten Merkmale sind nicht als abschliessende und in Stein gemeisselte Tatsachen zu betrachten, sondern eine persönliche und aus der eigenen Erfahrung geprägte Sichtweise, ohne für einen spezifischen Fall ins Detail zu gehen. Unumstösslich ist aus meiner Sicht jedoch die bereits erwähnte Tatsache, dass eine Führungskraft zu einem Unternehmen passen muss. Daher erachte ich es als besonders wichtig, sich als Entscheidungsträger vorgängig im Klaren zu sein, was für eine Führungskraft gesucht wird, mit welchem Führungsstil, welchen Stärken und Eigenschaften, aber auch welches die Erwartungen sind und was die Person erreichen soll. Idealerweise holen Sie sich kompetente Unterstützung und nutzen Sie die Vorteile eines professionellen Assessment Center.
Die Vorgängige Auseinandersetzung mit dem Wunschprofil ist bei jeder Rekrutierung von zentraler Bedeutung, denn sonst passiert es schnell, dass ein situativer und von irrelevanten Aspekten beeinflusster Entscheid gefällt wird, der mehr oder weniger gravierende aber in jedem Fall sehr kostspielige Folgen hat.